Dieses
Positionspapier als PDF-Dokument downloaden |
|
Aufgaben und Ziele
öffentlicher Schulen in freier Trägerschaft
Schulen in freier
Trägerschaft tragen entscheidend bei zu Qualität und
Vielfalt des öffentlichen Bildungswesens.
Bildungsexperten aus Wissenschaft, Schule und Schulverwaltung, aus Politik, Kultur und Wirtschaft ebenso wie internationale Vergleichsstudien wie TIMSS und PISA bestätigen:
Ausschlaggebend für die Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens in einem Land ist nicht der organisatorische Gesamtaufbau seines mehr oder weniger gegliederten Schulsystems; entscheidend sind vielmehr Qualität, Profil und Vielfalt der einzelnen Schulen und das in ihnen verwirklichte Maß an Differenzierung der Leistungsanforderungen und an Individualisierung der Lernprozesse.
Zur Umsetzung und konkreten Ausgestaltung dieser Kriterien leisten in Deutschland Schulen in freier Trägerschaft einen unverzichtbaren Beitrag. Sie sind damit gegenüber den Eltern und Schülerinnen und Schülern Garanten der Wahlmöglichkeit bei deren Suche nach Bildungseinrichtungen und Bildungsgängen, die ihren jeweiligen Vorstellungen von schulischer Orientierung und Begleitung beim Aufwachsen und Erwachsenwerden sowie von beruflicher Ausbildung in besonderer Weise entsprechen.
Schulen in freier Trägerschaft stehen für eine Vielzahl profilierter Einrichtungen in allen Schularten und Schulformen und auf allen Schulstufen.
Sie sind in ihrer Arbeit selbstständig und eigenverantwortlich, getragen von ihrem spezifischen Schulethos, geprägt durch ihr je eigenes Schulprofil und Schulprogramm. Sie sind lernende Systeme: Traditionsbezogen und zukunftsorientiert greifen sie neue pädagogische Herausforderungen auf und werden so zu Werkstätten für die Entwicklung und Erprobung neuer Antworten und Lösungen. Sie wissen sich für ihre Schulqualität gegenüber Eltern, Öffentlichkeit und beruflicher Praxis verantwortlich. Sie sehen sich mit ihren Angeboten im qualitätsförderndem Wettbewerb und in Idealkonkurrenz untereinander sowie mit den Schulen in staatlicher Trägerschaft. Sie erkennen in der Geschichte des Schulwesens auch die Geschichte ihrer pädagogischen Leitbilder und Innovationskraft.
Schulen in freier Trägerschaft stehen für das intensive Bemühen um ein Höchstmaß an Differenzierung der Leistungsanforderungen und an Individualisierung der Lernprozesse.
Sie nehmen die Vielfalt der Lebenswelten in unserer offenen und pluralistischen Gesellschaft ernst. Sie gestalten ihre Bildungsgänge so aus, dass diese die Förderung einseitiger wie mehrfacher Begabungen ebenso erlauben wie die Förderung und Integration von Kindern und Jugendlichen mit belasteten und belastenden Lebensläufen und Lernbiographien. Sie vertreten eine ganzheitliche Bildung und Ausbildung der personalen, sozialen und kognitiven sowie der künstlerisch-ästhetischen und der handwerklich-technischen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler. Sie stellen sich der Forderung nach einem Unterricht und nach Arbeitsformen, die ein selbstständiges und eigenverantwortliches - und über die Schule hinaus lebensbegleitendes - Lernen ermöglichen.
Schulen in freier Trägerschaft sehen sich bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit - und unabhängig von den unterschiedlichen Werteorientierungen, Glaubensbindungen und weltanschaulichen Positionen ihrer Trägereinrichtungen und Dachverbände - in ihrer Verantwortung gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch eine Reihe gemeinsamer pädagogischer Leitvorstellungen verbunden.
Sie bemühen sich um die Bildung von Lern- und Lebensumwelten, die sich durch gemeinsame pädagogische Merkmale ausweisen und auszeichnen:
durch Räume, die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Selbsterprobung eröffnen, Orientierung für den weiteren Lebensweg geben, Schutz vor Ausgrenzung bieten;
durch Zeiten, in denen nicht vorrangig Zielgerichtetheit, Tempo, Entwicklung, Vorankommen im Zentrum stehen, sondern in denen auch Suchen, Langsamkeit, Verharren, verlässliche Wiederholung und Wiederkehr als wichtiger Baustein persönlicher Entwicklung anerkannt sind;
durch Menschen, die persönliche Zuwendung und Betreuung mit professioneller Beobachtung und pädagogischer Führung verbinden, die belastbare Beziehungen ermöglichen, aber auch loslassen und freigeben können
durch Werte und Ideen, die jungen Menschen helfen können, zentrale menschliche Fragen zu stellen und zu beantworten, ihre Gegenwart als sinnerfüllt zu erleben, sich mit Gestaltungswillen und Zuversicht auf den nächsten Tag und die fernere Zukunft einzulassen.
Die Schulaufsicht hat sich auf eine Rechtsaufsicht über die Einhaltung der Genehmigungs- und Anerkennungsvoraussetzungen der Schulen in freier Trägerschaft zu beschränken. Dabei hat "Gleichwertigkeit" und nicht "Gleichartigkeit" alleiniger Maßstab zu sein.
Schule ist eine öffentliche Aufgabe, das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. Alle Schulen unabhängig von ihrer Trägerschaft erfüllen gemeinsam den öffentlichen Bildungsauftrag und sind dabei an das Demokratiegebot, den Wertekonsens der Verfassung und an die grundlegenden Bildungsziele der Schulgesetze gebunden.
Ein vielfältiges Schulwesen kann aber nur entstehen und sich weiterentwickeln, wenn den Schulen in freier Trägerschaft größtmögliche bei Inhalten, Methoden und Organisation des Unterrichts eingeräumt wird. Dies ist insbesondere auch bei der Erteilung von Berechtigungen zur Ausstellung von Zeugnissen mit öffentlicher Wirkung (Anerkennung) und bei der Erteilung von Unterrichtsgenehmigungen für Lehrer an Schulen in freier Trägerschaft zu berücksichtigen. Maßnahmen der Schulaufsicht dürfen die grundgesetzlich verankerte Gestaltungsfreiheit der Schulen nicht einschränken.
Die Schulen in freier Trägerschaft stellen sich einer kritischen Überprüfung des Erfolges ihrer pädagogischen Arbeit und entwickeln die notwendigen Instrumente zur Evaluation.
Schülerinnen und Schüler an Schulen in freier Trägerschaft haben grundsätzlich den gleichen Anspruch auf Förderung und finanzielle Ausstattung ihrer Schulen wie Schülerinnen und Schüler staatlicher Schulen.
Schulen in freier Trägerschaft ist es aus gutem Grunde untersagt, nur Schülerinnen und Schüler aus finanziell leistungsfähigeren Familien aufzunehmen (Sonderungsverbot). Das entspricht ihrem eigenen Anspruch und realisiert zugleich ein gesamtgesellschaftliches Interesse. Die AGFS lehnt die ausschließliche Gewinnorientierung einer Bildungseinrichtung ab. Alle Mitgliedsschulen der AGFS arbeiten auf gemeinnütziger Grundlage. Deshalb haben freie Schulen einen Anspruch auf hinreichende staatliche Förderung, die es ihnen ermöglicht, einen Querschnitt von Schülerinnen und Schülern aus allen gesellschaftlichen Schichten aufzunehmen.
Schulen in freier Trägerschaft gewährleisten 100% Schule, erhalten dafür heute aber in einigen Bundesländern kaum mehr als 50% Finanzhilfe vom Staat, neugegründete Schulen zudem meist erst nach einer mehrjährigen "Wartefrist". Die Konsolidierung der Haushalte der Öffentlichen Hand zu Lasten der Schulen in freier Trägerschaft bei gleichbleibenden oder steigenden Ausgaben für staatliche Schulen darf nicht länger Leitlinie der Bildungspolitik sein. Die Gründung und der Betrieb einer Schule in freier Trägerschaft ist Ausdruck bürgergesellschaftlichen Engagements und staatlicherseits nicht zu behindern, sondern zu unterstützen.
Die Gesamtheit der fortgesetzten finanziellen Beeinträchtigung von Schulen in freier Trägerschaft hat dazu geführt, dass Deutschland im europäischen Vergleich einen hinteren Rangplatz hinsichtlich des Anteils freier Schulen am gesamten Schulwesen einnimmt. Auch angesichts dieses unbefriedigenden Sachverhaltes – und nicht nur angesichts der alarmierenden Ergebnisse deutscher Schulen bei internationalen Vergleichsuntersuchungen – ist eine grundlegende Kurskorrektur der Bildungspolitik in Deutschland überfällig.
Hamburg, im November 2008