Unbegleitete Flüchtlinge an einer katholischen Schule
Von Johannes Schönwälder (KANN)
Gerade 16 oder 17 Jahre alt, versuchen minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in
Deutschland Fuß zu fassen. Schulbildung ist Teil ihrer Hoffnungen. In einer
katholischen Schule in Osnabrück hat man dafür einen Plan.
Osnabrück (KNA) Ein ganz normaler Morgen an der Thomas-Morus-Schule in
Osnabrück: Im Mathe-Unterricht bei Herrn Voss geht es um Algebra, das Rechnen
mit Unbekannten. An der Tafel unter dem Kreuz, das hier in allen Räumen üblich
ist, steht so etwas wie: -5c+2c:c+c... Elf Schülerinnen und Schüler grübeln -
einer ganz besonders. Ahmed steht mit der Kreide in der Hand vor der Klasse. Er
soll "kürzen" und erklären, was er macht. Alles auf Deutsch, was dem 16-Jährigen
erstaunlich gut gelingt. Und das, obwohl er erst seit sechs Monaten in
Deutschland ist.
Ahmed ist Syrer und im vergangenen Jahr allein, ohne Eltern oder andere
Verwandte, aus dem Kriegsgebiet geflohen. Das Los teilt er in diesem Raum mit
sieben anderen Jugendlichen: zwei weiteren Syrern, drei Afghanen, einem
Pakistani und einem Eritreer. Hinzu kommen zwei Mädchen und ein Junge aus
Syrien, die mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind. Sie alle besuchen
hier eine sogenannte Sprachlernklasse. "Wer kann helfen?", fragt Lehrer Voss
immer wieder. Und Hilfe kommt - und immer auf Deutsch.
"Deutsch, deutsch, deutsch - und das am besten zehn Stunden am Tag", bringt es
Schulleiterin Hildegard Oevermann auf einen kurzen Nenner. Das ist es, was sie
ihren jungen Flüchtlingen immer wieder rät. Die Sprache ist der Schlüssel zur
Integration. Und zum Erfolg. Denn den suchen die meisten der jungen Flüchtlinge
schon sehr gezielt. Ihre Familien haben sie aus gutem Grund auf den Weg
geschickt. Sie sollen nicht nur Frieden und Freiheit finden, sondern auch
berufliches Glück. Damit eines Tages die Familie nachkommen kann nach
Deutschland.
Die sogenannten minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge leben allesamt in
Wohngruppen der katholischen Don-Bosco-Jugendhilfe, deren Träger der
Bischöfliche Stuhl des Bistums Osnabrück ist. Zurzeit wird geklärt, ob sie
Verwandte in Europa haben. Dann müssten sie Osnabrück verlassen und zu ihnen
ziehen.
"Ich weiß noch gar nicht, was mit mir wird in Deutschland", sagt auch Abdul,
Syrer aus Pakistan. Seine Eltern und die zwei Schwestern leben dort. Er will
Anwalt werden, Recht studieren, sprudelt es aus ihm heraus. Denn in seiner
Heimat sei es schlecht bestellt um die Menschenrechte. So dürften viele Kinder
nicht zur Schule gehen, sondern müssten arbeiten. Ihnen will er später helfen.
Ähnlich geht es Fadi aus Afghanistan. Wie Abdul besucht er aufgrund seiner schon
guten Sprachkenntnisse ein paar Stunden pro Woche den Regelunterricht der
anderen Schüler, etwa in Englisch, Sport und Kunst. Auch seine Zukunft ist
ungewiss. Sein Ziel: Medizin studieren.
Rund 40 Flüchtlinge werden an der Osnabrücker Oberschule unterrichtet. Nur ein
gutes Dutzend von ihnen ist mit Familie hier. Eingeteilt sind sie nach ihren
Deutschkenntnissen in drei Gruppen. Abdul, Fadi und die elf anderen bilden die
mittlere Gruppe. Die Besten haben schon ein Jahr Sprachförderung hinter sich und
nehmen nur noch am Regelunterricht teil. Diejenigen mit noch geringsten Deutsch-
und Schreibkenntnissen erhalten die intensivste Förderung.
Neben einer Schulsozialarbeiterin steht in Osnabrück die Muslimin Salwa Ahmed
den Schülern zur Seite. Die Studentin am Institut für Islamische Theologie (IIT)
der Uni ist Ansprechpartnerin für die Sorgen von Schülern, Eltern und Lehrern.
Sie vermittelt, erklärt kulturelle Besonderheiten und übersetzt da, wo es
sprachlich noch hapert. Ihr Engagement ist ehrenamtlich. Die junge Frau will
ihre Erlebnisse hier für den Uni-Abschluss nutzen.
Als die ersten Flüchtlinge an die Schule kamen, habe es keinen Plan vonseiten
des Landes gegeben, erzählt die Schulleiterin: "Wir haben das einfach mal so
gemacht." Später hat sie neue Lehrer bewilligt bekommen und neue Materialien.
Die Schule habe auch die Quote für nicht katholische Schüler von 30 auf 40
Prozent erhöhen dürfen, berichtet die Schulrätin im Kirchendienst, Maria
Schwedhelm. All das geschieht nicht nur in der Stadt Osnabrück. Insgesamt werden
rund 100 Flüchtlingskinder an den 17 Stiftungsschulen des Bistums unterrichtet.
Das entspreche dem Selbstverständnis der Einrichtungen, so Schwedhelm. "Wir
machen katholische Schulen für alle."
Auch Oevermann sieht die Schularbeit pragmatisch. "Wir alle haben Not, und Not
bündelt." Handeln sei gefragt, nicht zögern. Das gilt nicht nur für die
Zusammenarbeit mit der Landesschulbehörde und der Stadt Osnabrück, sondern auch
mit der Uni und Don Bosco. Die Caritas nimmt sich insbesondere der christlichen
Flüchtlinge an, die Moscheegemeinden arbeiten bei der Betreuung der Muslime mit.
Inzwischen hat auch eine Familie die Patenschaft über ein Flüchtlingskind
übernommen. "Ein zartes Pflänzchen", wie Oevermann sagt, das hoffentlich bald
Nachahmer findet.
Zwischendurch gebe es natürlich auch Reibereien, so die Schulleiterin. Zwischen
Weihnachten und Silvester habe es einmal richtig gekracht. Dann sei es wichtig,
klare Grenzen zu ziehen und auch disziplinarisch einzuschreiten. Ethnische
Konflikte dürfen gar nicht erst aufkommen. Jedoch sei die Unzufriedenheit
mancher Flüchtlingskinder verständlich. Grund sei die große Ungewissheit über
die eigene Zukunft.
Etwas anderes macht Schulleiterin Oevermann wütend: Es gebe keine Möglichkeit,
die 17-Jährigen weiter zu beschulen, erläutert sie. Für die Sekundarstufe I sind
sie zu alt, in Sek II dürfen sie nicht aufgrund des fehlenden Abschlusses. Die
einzige Möglichkeit sei die Berufsbildende Schule, die auf Handwerksberufe
vorbereite. Dabei könnte so mancher der Jugendlichen mit einem weiteren
Förderjahr wahrscheinlich jede Regelschule besuchen, ist Oevermann überzeugt.
Keine guten Aussichten also für Fadi und Abdul für ihr Studium. Aber die
Hoffnung auf ein besseres Leben bleibt.